Westerhausen (AP) Die Menschen in Westerhausen sind fassungslos. «Wir sind geschockt», sagt eine 66-jährige Nachbarin, die ihren Namen nicht nennen will. «Wir machen uns alle einen Kopf.» Selbst die wenigen Einwohner, die Kontakt zu der Familie hatten, ahnten nichts von der Tragödie, die sich in der 2.300-Seelen-Gemeinde anbahnte.
Ein Elternpaar, 32 und 33 Jahre alt, hat sich selbst getötet, seine vier Kinder sind zum Teil lebensgefährlich verletzt. Möglicherweise überlebten die zwei Mädchen und zwei Jungen im Alter zwischen 8 und 13 Jahren nur, weil aufmerksame Nachbarn den Großvater der Familie zu
gerufen hatten. Ihnen war aufgefallen, dass den ganzen Tag über die Rollläden geschlossen waren.
Der Großvater fand am Dienstagnachmittag die Leichen seiner Tochter und seines Schwiegersohnes sowie seine schwer verletzten Enkel. Nach Erkenntnissen der Ermittler nahmen sich die Eltern das Leben, ihren Kindern wollten sie aber wohl nicht schaden; vor ihrem Tod ordneten sie noch deren Krankenkassenkarten auf dem Küchentisch an, auch die Karte des Kinderarztes legten sie hinzu.
Die Kinder tranken entweder vergifteten oder schlechten Apfelsaft, möglicherweise stammen ihre Verletzungen aber auch von Gas, das nach einer schief gegangenen Heizungsreparatur in dem Haus ausgetreten war. Den Apfelsaft hatten sie sich selbst genommen, nachdem sie ihre Eltern am Abend vermeintlich schlafend vorgefunden hatten. Weitere Untersuchungen der Kinder sowie der Leichen der Eltern sollen Aufschluss über das rätselhafte Geschehen bringen.
Motiv blieb zunächst unklar
Auch über das Motiv war zunächst nichts bekannt, ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. Am Mittwoch schwebten der ältere der beiden Jungen, die in eine Spezialklinik in Halle geflogen worden waren, weiter in Lebensgefahr. Die zehn und elf Jahre alten Mädchen waren leichter verletzt gefunden und in ein Krankenhaus in Quedlinburg gebracht worden.
Dass niemand in der Gemeinde im Harzvorland etwas von der sich anbahnenden Tragödie ahnte, mag auch daran liegen, dass das Ehepaar zugezogen war. Vor fünf bis sechs Jahren, sagen die meisten, vor acht Jahren behaupten andere, bezog das Paar mit seinen vier Kindern das Haus in der Mühlenstraße 235. Eine zwei Meter hohe poröse Mörtelmauer schirmt das schätzungsweise 500 Quadratmeter große Grundstück zu der mit groben Steinen gepflasterten Straße und den Blicken der Nachbarn hermetisch ab.
Davor steht noch das Auto der Familie, ein grüner VW-Transporter TDI. Das Grundstück wirkt verwahrlost: Etliche Erdhügel, eine Hundehütte, ein Schlitten, Stapel mit Dachziegeln, ein Gewächshaus, ein halbfertiger Holzschuppen mit Glasfassade.
Über den Hintergrund der Tragödie herrscht allgemeines Rätselraten. Die meisten Nachbarn kannten die Familie nur vom Sehen. «Da war kein Kontakt», heißt es.
Nur die Rahmendaten kennen alle
Nur die Rahmendaten kennen alle: Der Mann arbeitete die Woche über auf Montage und kam donnerstags oder freitags nach Hause. Die Frau war seit einigen Monaten bei einer Saatgutfirma in einem benachbarten Ort tätig, wechselweise in der Früh- und Spätschicht, um etwas dazu zu verdienen. Die Kinder gingen im nahe gelegenen Quedlinburg zur Schule.
Die Nachbarin Carola Eisenhuth war ein wenig mit der Mutter befreundet. «Sie war ein ganz lieber Mensch», betont sie. Auch der Mann sei stets freundlich und hilfsbereit gewesen, erzählt die 49-Jährige.
Allerdings gibt es wage Hinweise auf Finanzschwierigkeiten: Ein Urlaub in diesem Jahr sei nicht geplant gewesen, möglicherweise aus Geldmangel. Aber nichts deutete auf existenzielle Probleme hin. «Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas passieren würde», sagt Eisenhuth. «Die wollten noch soviel machen».
Beantragt und von der Gemeinde genehmigt war etwa der Bau einer Garage auf dem Grundstück. Der Weg von der Straße hoch zur hölzernen Eingangstür in der Mauer war noch vor kurzem in neue Steine gefasst worden. «Die haben viel selbst gemacht», sagen die Nachbarn. Auch dem 15 Jahre alte Henrik Köhler, der gelegentlich mit den älteren Kindern Franziska und Steven spielte, fiel nichts Außergewöhnliches auf: «Die waren immer o.k.»
(yahoo.de)
